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Raum - Zeit - Situation

zur künstlerischen Arbeit von Renate Fulland
von Dr. Hans Zitko

Über Ihre Arbeit im klassischen Medium der Plastik hinaus hat sich die Wiesbadener Künstlerin Renate Fulland in den letzten Jahren besonders mit übergreifenden raum-zeitlchen Zusammenhängen beschäftigt. Das einzelne Objekt wird dabei zu einem integralen Bestandteil räumlicher Kontexte und dynamischer Abläufe, in denen sich die gegebenen Phänomene fortlaufend verändern. Theam sind hier die komplexen Zusammenhänge von Erlebnissituationen, die sich aus einer Vielzahl von unterschiedlichen Faktoren zusammensetzen.

Zwei durchgeführte Projekte sind hier von Interesse: Über einen längeren Zeit- Raum verfolgte die Künstlerin mit dem Fotoapparat den Abriss eines Gebäudes im Wiesbadener Stadtbereich und die anschließende Errichtung eines Neu- baus an derselben Stelle. Die Reihe der Fotografien, die einen zusammenhän- genden Zyklus bilden, zeigen Phasen eines komplexen Prozesses der sukzes- siven Auflösung gegebener Form und die dadurch möglich gewordene Bildung von neuen Strukturen.

Die Künstlerin konzentriert sich in ihrer dokumentarischen Arbeit vielfach auf einzelne Details des gesamten Ablaufs. Auf technische Prozeduren, die im Bauwesen Verwendung finden, auf bestimmte räumliche Situationen im Inne- ren des entstehenden Neubaus sowie auch auf deren Zusammenhang mit dem arbeitenden Menschen, der die architektonische Strukturbildung steuert. Wichtig ist für sie dabei stets das Ineinandergreifen aller am Prozess beteiligten Momente.

Das zweite Projekt, das in der Stadt Gießen in einem Ausstellungsturm realisiert wurde, ist von anderer Art. Die Künstlerin arbeitet hier innerhalb einer raumbezo- genen Installation mit einer Reihe selbstgefertigter Lattenrahmen, die sie mit wachsgetränkten Baumwolltüchern bespannt.

Diese Elemente, die zunächst an klassische Bildtafeln erinnern, sind frei in einer bestimmten Anordnung im Ausstellungsraum aufgestellt. Thema sind hier jedoch nicht allein die erdfarbenen Flächen unterschiedlicher Tönung, der besondere Charakter des Naturstoffes Wachs oder das räumliche Verhältnis der Rahmenformen zueinander, sondern ein darüber hinausgehender Ereigniszusammenhang, der sich selbst auf das Umfeld des Ausstellungsraumes erstreckt. Mit den wachsgetränkten Tüchern von milchiger Transparenz bringt die Künstlerin ein Element ins Spiel, das in besonderer Weise auf die unterschiedlichen Beleuchtungsverhältnisse des Innenraumes reagiert: Das transparente Medium der Farbfelder macht das durch ein Fenster von außen einfallende Licht verstärkt sinnlich fassbar, so dass sich der Wechsel der Tageszeiten und der atmosphärischen Verhältnisse im ästhetischen Zusammenhang der Installation abzeichnet. Konsequent begreift die Künstlerin auch noch den Blick durch das Fenster auf das städtische Umfeld des Präsentatinsraumes als einen Bestandteil ihres realisierten Konzeptes.

Durch die gezielte Öffnung des Werkes gegenüber den Bedingungen seiner Umgebung werden zeitliche Abläufe manifest, die von Eingriffen und Intensionen prinzipiell unabhängig sind; das Licht, das die transparenten Wachsflächen auffangen und sammeln, erscheint als Repräsentant einer Macht der Natur, einer zyklisch sich darstellenden Ordnung, über die der menschliche Wille nichts vermag. Die Künstlerin rührt mit ihrer ästhetischen Strategie, die eine raum-zeitliche Situation als Schauplatz einer kosmischen Gesetzlichkeit zur Entfaltung bringt, nicht zuletzt an die Idee der Endlichkeit menschlicher Existenz.

Dr. Hans Zitko